„Da ging ich….noch viele Wochen und Monate umher und suchte was.Und wusste nicht, was es war.
Bis ich erkannte, dass ich mein Wesen suchte.“ (Die Lebensuhr des Gottlieb Grambauer“ von Ehm Welk)
In der sogenannten „aktuellen Situation“ bin ich, wie viele andere auch auf der Suche nach Orientierung, nach Auswegen, nach Sinn.
Mich treibt die Frage um, was eigentlich gerade wesentlich ist in der Neuen Weltordnung 2020, die „Alltagsmasken“ und soziale Distanz vorschreibt und das Weihwasser durch Desinfektionsmittel ersetzt.
Die Frage nach dem Wesentlichen quält mich nicht allein, ich weiß. Doch ich möchte von meiner Suche berichten. Und von dem, was ich finde:
In diesem Jahr hat sich mein Alltag, mein Leben verändert, meine Biografie hat eine neue Richtung bekommen.
Mit guten und schmerzhaften Konsequenzen. Frühmorgens sehe ich im Spiegel noch mein Gesicht, dann trage ich eine „Alltagsmaske“, den ganzen Tag lang, wegen der Sicherheit.
Was sehen die Menschen von meinem Gesicht, wenn ich mit ihnen rede, sie „sozial betreue“?
Meine Augen- sie haben „sprechen geübt“, meine Stirn-sie kann glatt sein oder gerunzelt-ja, sie kann auch ein bisschen sprechen. Doch das ändert nicht viel an der Tatsache, dass mein Gesicht verborgen ist. Der vorgeschriebene Abstand zu meinen Mitmenschen beträgt 1,5, besser 2 Meter. Mein Leben, zumindest mein Arbeitsleben ist fragmentiert und geprägt von chronisch fehlenden Resonanzerlebnissen. Im Sommer habe ich versucht, all meinen Ängsten und Problemen ein Gesicht zu geben, um mich besser mit ihnen auseinandersetzen zu können.
So entstand eine große dämonische Maske aus Papier, die ich in den blauen Himmel hängte, um das Dämonische kleinzukriegen.
Das hat für einen Moment gut funktioniert, denn plötzlich war mein Dämon nur ein kleiner schwarzer Fleck vor der Unendlichkeit des Himmels.
Im Herbst entschloss ich mich, dem Dämon, der seitdem bei mir im Keller wohnt, ein engelhaftes Konterfei entgegenzusetzen.
Sicherheitshalber.
Meine Überraschung währte nur kurz, als ich bemerkte, dass ich kein Engelsgesicht, sondern ein Sinnbild für die Ambivalenz schlechthin erschaffen hatte:
Meine Maske hat kein Oben und Unten- ich kann sie so oder so herum tragen- mit wechselndem Ausdruck.
Damit entspricht sie exakt meinem augenblicklichen Zustand: Die Stimmung kippt häufig um, ein geringer Anlass genügt schon.
Die Beschäftigung mit dem Thema „Masken“ fängt langsam an, interessant zu werden.
Die Wortspielerei mit den Begriffen „Wesentlich“ und „Wesendlich“ bringt bereits ans Licht, um was es geht:
um die Endlichkeit, um mich, um Wesentliches in dem Sinn, was ist und was bestehen bleibt.
„Geh in deinen Grund und wirke dort. Die Werke, die du dort wirkst, die sind alle lebendig,“(Meister Eckart)
Wie diese schönen Worte
in eine Handlungsempfehlung münden können, zeigt mir Christoph Riemer, der mich durch seine wertvollen Impulse auf die Spur der Masken brachte. Seine besondere Herangehensweise hat mich tief beeindruckt. Deshalb sind mir seine Erfahrungen ein großer Schatz und ich bin gespannt, was „hinter dem Vertrauten entstehen wird“ (C.Riemer).
Seine beiden Bücher, nach denen ich arbeite:
Masken und andere Gesichte ISBN 3-922843-67-0
Maskenbau und Maskenspiel ISBN 3-922843-28-X
Was für ein Zufall und ein
Glück, während ich mit dem Maskenbau beschäftigt war und über die unfassbare Vielfalt der unterschiedlichsten Wesen grübelte, den Centaur zu finden!
Im Sperrmüll meiner Nachbarn! Natürlich habe ich ihn mitgenommen. Seitdem steht er im Atelier und gibt mir Rätsel auf, die ich versuche, systematisch zu lösen:
Also: „Wer oder was ist es?“
Herkunft:
Zufällig zugelaufen, d.h. ich bin ihm zugelaufen, als ich ihn/es am Wegesrand stehen sah (Sperrmüll)
Zustand beim Auffinden: Unfertig, mit vielen Blessuren
Gefühle zum Zeitpunkt des Auffindens:
Plötzlicher Impuls, zu retten. Aufgeregtheit. Freude. Denn ist nicht jedes (Lebe)wesen um seiner selbst willen schützenswert?
Was geschah nach der Rettung?:
Reparaturen, Stabilisierungsmaßnahmen.
Veränderung:
Dem Pferdeleib entwuchsen Flüge, der unvollständig ausgebildete Menschenkopf wurde zum Vogelkopf
Warum: Ungeklärt, wahrscheinlich, weil es getan werden musste.
Auftauchende Fragen:
Was ist es eigentlich?
Sind seine grundlegenden charakteristischen Züge ausreichend dargestellt? Sind sie ausgewogen?
Nein, keinesfalls. Und doch, vielleicht gerade, weil die Potenziale so mannigfaltig und widersprüchlich sind, rührt mich sein Anblick.
Im Moment kann es gar nichts weiter tun, als hier zu stehen und mich mit seinem Schatten zu erfreuen.
Eigentlich will ich Masken bauen, doch dieses Wesen lenkt mich solange ab, bis ich es endlich fertig habe:
der Weg zum Gott aller Anfänge
Kurz war mein Weg, denn bereits die erste Maske, die ich zu formen begann, nahm unter meinen Händen, absichtslos, eine janusköpfige Gestalt an (siehe oben). Ich versuchte, ihren Charakter durch eine schwarz-weiße Farbgestaltung zu unterstreichen. So ganz zutreffend ist der Begriff „janusköpfig“ nicht, denn Janus, der u.a. als römischer Gott der Türen und Tore gilt, schaut nach zwei Seiten. So scheint der Eingang ebenso geschützt zu sein wie der Ausgang und das Sinnbild der Tür verweist auf Verschließen und Eröffnen.
Meine Maske hingegen schaut gleichzeitig nach oben und nach unten, zum Himmel und zur Erde.
Nun weiß ich, welcher Schritt als nächstes folgen sollte-der Blick in die zwei Richtungen: nach vorne und hinten, nach rechts und links, in die Vergangenheit und in die Zukunft. Vielleicht wird mir danach klar, welche Türen sich verschlossen haben und welche sich öffnen werden. Und welche kann ich selbst öffnen? Vielleicht gibt es auch bereits Türen, die mir offenstehen, die ich jedoch nicht erkennen kann? Vielleicht, weil mein Blick nur nach oben und unten gerichtet war? Auf jeden Fall ist es sinnlos, gegen verschlossene Türen anzurennen, das tut nur weh. Ja, da habe ich ein passendes Bild für meine Situation gefunden:
Ich stehe momentan auf der Stelle, blicke abwechselnd nach oben, in den Himmel und auf die Erde (also auch in Richtung Hölle) und komme keinen Schritt vorwärts. Wie in einen Traum, in dem man weglaufen will und nicht von der Stelle kommt oder auf jeden Fall langsamer, als einem lieb ist! Doch nun ist mir klar geworden, dass ich nach vorne blicken muss, natürlich, ohne die Vergangenheit aus den Augen zu verlieren. Nur so werde ich erkennen können, welche (neuen) Türen ich finde, um sie zu öffnen.
Gut!
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Petra Herchenröder (Donnerstag, 03 Dezember 2020 12:42)
Liebe Martina,
Doppeldeutigkeit hat mich 2020 auch erfasst. Nichts ist wie es scheint und alles könne auch ganz anders sein - Kopfkino oder Wahrheit? Blase oder Wirklichkeit? In der Heilpflanze des Jahres, die Wegwarte begegnet sie uns auch. Weg und weg von etwas, warten und eine neue Warte erklimmen... länger darüber nachdenkend verschwindet ich in der Unendlichkeit... ob ich von mir weg in die Tiefe und in mir hinein in die Tiefe des unendlichen Seins komme... wer will das wissen?
Liebe Grüße aus der Warte der Vielfalt die unendliche viele Gesichter oder auch Masken hat... Petra