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Märchen für alle Lebenslagen

 Über den Umgang mit Märchen habe ich vor einiger Zeit schon berichtet, heute möchte ich einige neuen Erfahrungen teilen. Vielleicht lassen Sie sich begeistern und versuchen auch einmal, kreative Medien einzusetzen. Manchmal ist einfach ein Zündfunke nötig, um eine lebendige Interaktion in Gang zu setzen oder Gesichter zum Lächeln zu bringen. Egal ob im Seniorenheim, in Kindergarten, im Büro oder in der Schule-wir alle können davon ruhig etwas mehr gebrauchen, hauptsächlich seit der neuen Zeitrechnung (Seit Corona). Siehe auch:aktuell

 Einige grundsätzliche Überlegungen zum Unterschied zwischen Erzählen und Vorlesen möchte ich voranstellen: Durch gutes Vorlesen kann ich Personen erreichen, die gut hören und den Inhalt verstehen können. Natürlich kann es auch ein sehr großes Vergnügen sein, dem reinen Wohlklang der Stimme und der Sprachmelodie zu genießen, sich an schöner Sprache zu erfreuen (bspw. von Gedichten). Dieses ästhetische Empfinden geht auch dann nicht verloren, wenn die eigene Sprache nicht mehr oder nur eingeschränkt eingesetzt werden kann !

Das freie Erzählen hat für Zuhörende den Vorteil, dass Mimik, Gestik, Blick, Körperhaltung und Habitus des Erzählers das Sprechen begleiten. Somit wird das Gehörte viel verständlicher und Stimmung und Emotionen sind direkt spürbar. 

Mein Kamishibai ist gut geeignet zum Spielen für die Kinder, doch für Senioren ist er mir einige Nummern zu klein geraten. Mein 2. Exemplar hatte ich aus einem alten Bilderrahmen gebaut. War hübsch, aber etwas zu schwer. Weil bekanntlich alle guten Dinge drei sind, ist meine Nummer drei auch perfekt geworden. Der Rahmen besteht aus einer Palette aus Pappe. In diese habe ich mit einem Cuttermesser die Öffnung geschnitten. Danach habe ich die gesamte Oberfläche mit einer Schicht Packpapier beklebt. Diese erste Schicht war für die Stabilität. Dann folge eine zweite Schicht aus schwarzem Seidenpapier, aus Schuhkartons. In Fulda gibt es ein Schuhgeschäft, in dem immer alle Kartons aufgehoben werden- für solche Menschen wie mich. Da es dort sehr hochwertige Schuhe gibt, ist die Verpackung ebenso edel. Außerdem fand ich das Bekleben einfacher als Streichen. Der unschlagbare Vorteil meines Rahmens ist sein geringes Gewicht-ich kann ihn mit zwei Fingern tragen. Hinten, also im Back Stage-Bereich, habe ich eine Halterung für eine Stange befestigt: Die Stange (alte Landkartenhalterung vom Sperrmüll) hält meine Bilderserie, die ich für diesen Rahmen extra gemalt habe (ein altes Rollo, auch vom Sperrmüll, diente mir als Malgrund).

Neuerdings gibt es auch eine zweite Bühne mit den gleichen Maßen. Die „Bühne Zwei“ ist mit weißem Seidenpapier beklebt. Hier ist der Back-Stage-Bereich so gestaltet, dass ich einzelne Bilder reinstecken kann. Warum der ganze Aufwand?  Die Bühne fängt die Aufmerksamkeit ein, auch, wenn die Zuschauer/innen nicht alles erkennen, weil sie bspw. schlecht sehen können. Die Bilder meines kleinen Erzähltheaters machen es leichter, der Geschichte zu folgen. Ich stehe daneben und erzähle. So habe ich die einzelnen Personen im Blick und kann mit Gesten, Mimik, mit kleinen Änderungen das gesamte Geschehen maßgeblich beeinflussen. Ich kann die Geschichte noch etwas ausschmücken, wenn die Aufmerksamkeit groß ist, oder kürzen, wenn ich sehe, dass die Spannung nachlässt.

Das Erzähltheater ist leicht und mobil und kann jeden Ort verzaubern, zum Beispiel auch zu einem Gartenfest der Poesie.

Unter Pandemiebedingungen, also, wenn zwischen den Menschen 1,5 bis 2 Meter Abstand vorgeschrieben wird, wandere ich beim Erzählen zwischen dem Publikum umher, in meinen Händen haltend ein großes Bild mit der jeweiligen Sequenz der erzählten Geschichte. Plötzlich erweist sich das Hindernis des Abstand-Haltens als brauchbare Qualität, denn die Blicke aller zuhörenden folgen mir- und begegnen sich untereinander, wandern durch den Raum, von einem zum anderen. Es spinnt sich ein unsichtbares Netz der Gemeinschaft, dessen Spannung noch in den anschließenden Gesprächen spürbar ist. Worte werden in erstaunlicher Reichweite ausgetauscht, Kichern, Murmeln und Flüstern stören nicht sondern bilden einen lebendig summenden Nährboden für diese schöne Atmosphäre. Diejenigen, die mittendrin sitzen, ohne zu reden, verfolgen das Geschehen mit wachen Augen und entspanntem Gesichtsausdruck.

Man lächelt sich zu.

 Neuzugänge gibt es nicht nur beim Bühnenequipment, sondern auch bei den Schauspielern: Die Erfahrung hat auch hier gezeigt, dass größere Marionetten oder Handpuppen besser fürs Seniorenheim geeignet sind.

Der Gedanke dazu kam mir auch, während ich eine Bewohnerin beobachtete, die sehr oft eine große Puppe in ihrer Nähe hatte, ein Großvatergesicht mit weißem Haar und Bart. Sie lächelte ihm (der Puppe) zu, zwinkerte oder versenkte sich mit seligem Gesichtsausdruck in seinen Anblick. Sie wirkte dann völlig in Gedanken und glücklich. Auch wenn die Bewohnerin in ihrem Rollstuhl durch den Garten geschoben wurde, hielt sie ihre Puppe im Arm. „Na, wie geht es Ihnen? Und wie geht es dem Otto?“, erkundigten sich Bekannte, die wie selbstverständlich erkannten, dass hier eine besondere Einheit besteht. Über solche Momente habe ich mich immer sehr gefreut, weil sie mir zeigten, wie feinfühlig und verständnisvoll Mitmenschen sein können.

 

Während des Sommers habe ich dann Großvater und Enkel gebaut. Coronabedingt gab es bislang wenige Gelegenheiten, die beiden einzusetzen, die Wirkung ist jedoch immer wieder beeindruckend:

Gehe ich mit Hans oder Hänschen, also mit einer Marionette neben mir, durch das Haus, bleiben alle stehen, winken, lachen- und sprechen die Puppe an. 

 

Ich re-agiere dann auf die Zurufe, bspw.:

 

Wer ist denn das?

 

Ich habe keine Ahnung, aber ich habe schon bemerkt, dass er ständig tanzen will!

 

 

Dann lasse ich den Großvater tanzen und bringe alle Bewohner zum Lächeln und  Mitschwingen und vorübergehendes Personal zum Stehenbleiben. Was für eine schöne Motivation für mich, diese Spur weiterzuverfolgen und mehr Möglichkeiten auszuprobieren!

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