
Beim Lesen eines Buches über den Geist der Bäume wird mir gerade etwas klar. Es geht um die griechischen Götter und ihre Beziehung zu den Bäumen. Ich lese über Artemis, dass sie die Göttin der Natur, der Jagd und der wilden Tiere war. Bei dem Satz „Sie war eng verwandt mit den Walnymphen“ habe ich ein echtes Aha-Erlebnis. Vor fast 30 Jahren war ich einmal mit einer anthroposophischen Reisegruppe auf der Insel Naxos. An einem freien Tag ging ich mit zwei anderen Teilnehmern auf die Suche nach einem Artemistempel, der auf der Karte in einem Thale im Inneren der Insel eingezeichnet war. Die Wanderung führte durch wunderschöne Natur. Ich sah zum ersten Mal in meinem Leben eine richtige große Schlange, die vor uns auf dem Weg lag. Etwas später überquerten wir einen Fluss. An ihm hatte ich das vielleicht schönste Naturerlebnis meines Lebens. Hunderte von roten Schmetterlingen flogen auf als wir das andere Ufer betraten. Ich war überwältigt, beglückt und wie in einem Rausch, eins mit der Natur. Dann sah ich auf dem Flusslauf links neben mir freilebende Schildkröten im Wasser! Auch dies zum ersten Mal. In dieses Wasser musste ich steigen. Ich bat meine Begleiterinnen um eine Pause, zog mich ein wenig abseits aus und stieg in den Fluss. In diesen jungen Jahren meines Lebens war so etwas noch ganz und gar ungewöhnlich, ich glaube, auch das erste Mal, dass ich solches tat. Zurückgekehrt schlug die eine Begleiterin vor, dass wir uns auf den Boden legen um etwas zu ruhen. Auf den Boden legen? War das nicht schmutzig, gefährlich, verboten? So hatten es mich meine Eltern gelehrt. Wie dankbar war ich ihr daher für diesen Akt der Naturverbundenheit und des Vertrauens. Auch dies hatte ich noch nie erlebt. Irgendwann setzen wir unseren Weg fort auf der Suche nach dem Tempel der Artemis. Nach einer Weile lichtete sich der Wald und wir sahen ein weißgetünchtes Gebäude, eine kleine orthodoxe Kirche, wie sich herausstellte. Hier müsste doch irgendwo der Tempel sein! Wir suchten überall in der Umgebung nach Resten, Säulen Stümpfen oder sonstigen Hinweisen auf den Tempel der Artemis. Es war doch die Stelle, an der er verzeichnet war! Aber wir fanden nichts, was auf einen antiken Tempel hinwies. Dafür aber einen kindlich freundlichen Griechen mit einem Esel. Mit Gesten gab er uns zu verstehen, er wolle uns in das nächste Dorf geleiten, von wo aus es schneller wieder zurück in die Zivilisation gehe. Auch diese Begegnung mit dem Mann war etwas ganz Besonderes für mich. Auch bei ihr und bei dem Weg, den wir mit ihm zurück legten fühlte ich mich so glücklich und mit dem Leben vertrauen und geborgen wie selten zuvor. Aber den Tempel fanden wir nicht, daher überschattet ihr denn noch eine gewisse Enttäuschung und Unerfülltheit diesen Ausflug. Abends im Hotel stellte ich fest, dass ich mein Portemonnaie verloren hatte. Ich wusste auch sofort, wo. Am Ufer des Flusses an dem ich meine Kleider abgelegt hatte. Oh mein Gott, nun musste ich am nächsten Tag den ganzen Weg noch einmal allein zurücklegen! Es blieb mir nichts anderes übrig. Ich ahnte schon, dass es durchaus Sinn macht, dass ich dorthin zurückgerufen wurde, wo ich gerade meine schönste Naturerfahrung meines bisherigen Lebens erlebt hatte, wohl zusammenhängen.
Nicht mein Portemonnaie hatte ich dort liegen gelassen, sondern meine Seele! Und diesen Umstand zeigte mir nur nun der vergessenen Geldbeutel. Als ich nun nach fast 30 Jahren diesen Satz über die Göttin Artemis lese, wird mir klar, dass ich an diesem Ort nicht nur den Tempel der Göttin Artemis gefunden hatte, sondern ihr selbst begegnet war!
Alexander Wiechec
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