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Tierische Begegnungen

es lebt!
es lebt!

In der Nacht, in der das Kaninchen starb, hatte ich schlecht geschlafen.

Als ich es am Morgen tot im Garten liegen sah, erschien es mir wie eine Art Nachtgespinst, umso mehr, als es kurz darauf wieder verschwunden war.

Vor ein paar Tagen noch sprang es durch den Garten, fraß da und dort ein paar Hälmchen und verströmte eine Aura unverhofften Glücks. Das bildete ich mir jedenfalls ein. Sicher war es irgendwo ausgebüxt, erkundete nun die Welt und freute sich über die gewonnene Freiheit. Und nun lag es tot vorm Gartentisch im Gras, das Fell nass und zerzaust, die Beine wie zum Sprung ausgestreckt. Ein trauriger Anblick. Ich ging wieder ins Haus, um den Kaffee vom Herd zu nehmen. Als ich wieder herauskam, war es weg! Mir schien, als wäre für einen Augenblick der Schleier über einer anderen, ansonsten verborgenen Ebene des Lebens gelüftet worden.

Ein Leben mit Raubtieren, die töten und ihre Beute wegschleppen, ein Leben, von dessen Seite ich normalerweise nichts sehe oder höre. Dieses kleine pummelige Kaninchen hatte von nun an in meiner Erinnerung einen Platz als lebensfroher doch am Ende gescheiterter Lebenskünstler. So plötzlich wie es mit einem Mal da war, so war es auch wieder verschwunden-spurlos.

 Doch kaum zwei Wochen später, am ersten Sonntag im Dezember war das Kaninchen wieder da! Zuerst glaubte ich, es wäre ein anderes, doch anhand eines Fotos konnte ich es identifizieren. Hatte ich mich nur getäuscht und das Kaninchen schlief nur, während ich es als tot betrachtete? Egal, Hauptsache, es hoppelt wieder, dachte ich. Seitdem warte ich natürlich jeden Tag auf seinen Besuch, doch es kommt nicht oft und regelmäßig schon gar nicht.

Einige Zeit später, bei einer Weihnachtsfeier drehte sich ein Gespräch um eigenartige Tiergeschichten. Eine Frau erzählte, dass sie (wie ich) auch eine Zeit lang Besuch von einem Kaninchen bekommen hatte. Allerdings wohnte sie in einem Mehrfamilienhaus mit neun anderen Familien. Das Kaninchen saß jedes Mal vor ihrer Wohnungstür. Wie es unten durch die Haustür gekommen war, ist ein ungelöstes Rätsel-geklingelt hatte es jedenfalls nicht. Wenn sie die Wohnungstür öffnete, kam es rein, hoppelte schnurstracks auf einen Sessel zu, machte es sich dort bequem und schlief. Wenn es ausgeschlafen hatte, lief es zurück zur Wohnungstür und zeigte so an, dass es wieder gehen möchte. Das Kaninchen gehörte zu Nachbarn, die in einem Einfamilienhaus mit Garten wohnten. Als sie wegzogen, war es vorbei mit den Besuchen. Eine andere Frau erzählte darauf die Geschichte ihrer zugelaufenen Katze. Eines Tages saß sie vor der Tür. Nicht vor der Haustür, sondern vor der Tür ihres Büros auf dem Hof vis-à-vis, also dort, wo sie sich die meiste Zeit des Tages aufhielt. Sie kam Tag für Tag, huschte hinein, sobald sich die Tür mal öffnete, lief jedoch immer unruhig hin und her und miaute. Die Frau versuchte, das Verhalten der Katze zu verstehen, sie zu beruhigen, mit Futter, einem Körbchen-doch alles umsonst. Schließlich sagte sie:“ Ich weiß nicht, woher du kommst (alle Nachforschungen blieben erfolglos), doch wenn du nun einmal da bist, gebe ich die jetzt einen Namen. Und als sie den (neuen) Namen der Katze ausgesprochen hatte, war diese fortan ruhig und entspannt und ist es noch heute. Die Enkelkinder der Frau hatten sich übrigens schon lange eine Katze gewünscht. Doch die Eltern und Großeltern wollte sich kein Haustier zulegen. Nun hatten sie eine Katze, die sie um nichts in der Welt wieder hergeben wollten.

In der Thüringer Allgemeine las ich neulich über ein Forschungsprojekt, welches den Beweis dafür gebracht haben wollte, dass Hunde kein wirkliches Mitgefühl haben, auch wenn dies oft so scheint. Hunde wären nicht fähig zur Empathie, man soll sich da nicht täuschen. Wie sie das festgestellt haben, wurde nicht berichtet. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendjemand dieser erstaunlichen wissenschaftlichen Erkenntnis Glauben schenkt.

Ein anderes Forschungsprojekt in Tamera untersucht durch Beobachtung und die daraus entstehenden Fragen den Merkmalen unserer Mensch-Tier-Beziehung auf den Grund zu gehen. Oft ist unser Verhältnis leider vom vorherrschenden Denkschema „nützlich-schädlich“ geprägt. Keine guten Voraussetzungen für unsere tierischen Mitgeschöpfe, und leider auch denkbar schlechte für uns, denn „Solange die Menschen Tiere quälen, foltern oder erschlagen, werden wir Krieg haben“ (Bernhard Shaw)

 

Das Kaninchen hat sich noch nicht wieder blicken lassen, doch heute kamen die Ziegen. Sie leben unten am Fluss auf einer Insel. Wenn ich dort spazieren gehe, sehe ich sie immer von Weitem. Ich freue mich über ihre idyllische Wohnsituation: Die grasbewachsene Insel mit einem geräumigen Unterstand in der Mitte als Schutz bei schlechtem Wetter. Heute Morgen haben die Ziegen den schmalen Holzsteg, der übers Wasser führt, überquert, um einen Ausflug ins Dorf zu unternehmen. Ich weiß nicht, was sie unterwegs alles erlebten, doch ihr Weg führte sie bergauf durch das Dorf, die Treppe hinauf zu unserem Haus, durch die Hecke in unseren Garten. Dort sahen sie sich auf der Terrasse um und schauten durch das Fenster unserer Nachbarin. Die vierjährige Bewohnerin war hellauf begeistert über diesen Besuch. Sie kam mit ihrer Mama in den Garten, und setzte ihr Lieblingskuscheltier auf einen Ziegenrücken. Die Ziegen ließen sich kraulen, vernachlässigten dabei aber nicht ihr Knabbern an allem, was sie an Grünzeug im Schnee fanden. Nach einer Weile schlüpften sie wieder durch die Hecke, gingen ganz manierlich die Treppe herunter und verschwanden aus meinem Blickfeld.

Ich bin gespannt, wer als nächstes kommt.

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