„Das sieht irgendwie brutal aus“ murmelte der Mann neben mir an der Bushaltestelle. Meine Augen folgten seinem Blick bis ich sah, was er mit leicht schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck betrachtete: Eine Reihe von Bäumen im Garten gegenüber der Straße, alle bis auf den Stamm und ein paar wenige kurze Stummel der Hauptäste zurückgeschnittene Linden. So standen wir beide nebeneinander in geteilter Aufmerksamkeit während die Anderen um uns herum lachten und scherzten.
Verwunderlich für mich war, dass mich jemand aufmerksam machte, wovon ich oft den Blick nicht abwenden kann, weil es so schrecklich und hässlich aussieht: Ein sogenannter Pflegeschnitt, der die Bäume im nächsten Frühjahr stark austreiben lässt. Ich dachte immer, ich allein empfinde diesen Anblick als eine brutale Zumutung für meine Sinne.
Verwunderlich war für mich zudem, dass der Mann neben mir eine attestierte „Seelische Behinderung“ hatte. Genau diese Formulierung stand in seinem Behindertenausweis. Ich tröstete ihn und dann kam Gott sei Dank der Bus.
Auf Stock schneiden
Vor etwa einem Jahr musste ich wieder an diesen Mann denken, den ich sehr gemocht hatte. Inzwischen war er gestorben. Er ist nicht gerade alt geworden. Die Erinnerung kam über mich, als ich an einem Firmengelände vorbeifuhr, wo gerade die Gärtner mit den Grünanlagen fertig geworden waren. Sie haben das Grün fertig gemacht. Leider führte mich mein Weg im letzten Jahr sehr oft an dieser Stelle vorbei. Der Wiederaustrieb war nicht gerade üppig, aber immerhin. Doch in diesem Jahr wurde der radikale Schnitt wiederholt. Das Foto hier habe ich Mitte März 2016 gemacht. Ist das die neue Gartenkultur?
Für das, was die Gärtner hier getan haben gibt es einen Begriff: „Auf Stock schneiden“ Ich tröstete mich damit, dass die Absicht, welche hinter dieser Praxis steht, einen starken Austrieb im Folgejahr bewirkt. Dies hat mir vor ein paar Jahren ein Landschaftsgärtner erklärt. Dieser junge Mann hat nicht lange nach seiner Ausbildung als Landschaftsgärtner gearbeitet. Wie ich hörte, hatte er immens Probleme mit Kokain und anderen Drogen und studierte dann Psychologie. Wenn ich an ihn denke, dann immer im Zusammenhang mit der Sinnhaftigkeit menschlicher Biografien. Die Steigerung oder die konsequente Weiterentwicklung der Praxis des "Auf -Stock-Schneidens" ist hier auf diesem Foto zu sehen.
Noch nicht mal am Parkplatz ließ man die Bäume wachsen. Wahrscheinlich haben alle Fahrer Klimaanlagen und brauchen keine schattigen Parkplätze?
Wenn die Stadt eine Baumsatzung hätte, würde dieses Gelände anders aussehehen
Liegt es an meiner selektiven Wahrnehmung oder ist hier in der Landschaftspflege wirklich ein neuer Trend zu erkennen? Ingeborg Harms macht in ihrem Artikel“ Verschwindende Landschaften“ in der Zeit (März 2015) die staatliche Neuorientierung wie die Richtlinie für den passiven Schutz an Straßen und das Erneuerbare-Energien-Gesetz mit einer bisher ungesehenen Konsequenz für das Verschwinden der Landschaft auch in den entlegensten Gebieten verantwortlich: „ Biomeiler-Zulieferer üben Druck aus, um ihre Quoten zu erfüllen, die Zunahme privaten Holzverbrauches schafft zusätzliche Anreize beim zügigen Abbau von Wäldern, die Gemeinden sind froh, wenn sie durch Abholzung von ihrem Pflegeauftrag entlastet werden, und der Pellet-und Hackschnitzelindustrie ist kein Strauch oder Gehölz zu gering, um gehäckselt zu werden. Besonders an den Bundesstraßen wird nach dem Vorbild des Stafettenzaunes aufgelockert. Nah beieinanderstehende Bäume und aus einem Stockausschlag gewachsene „Baumfamilien“ werden Winter für Winter gelichtet, bis nur alle zehn Meter ein Stamm übrig bleibt, dessen Äste die Motorsäge in bis zu sieben Metern Höhe kappt. Älteren Bäumen ist anzusehen, dass sie sich über Jahrzehnte frei hatten entfalten dürfen. Nun sind sie um ihre Balance gebracht, stehen schief, krumm verrenkt da wie einst Charcots Hysteriepatienten. In der RPS tauchen sie nur noch als „nicht verformbare Einzelhindernisse“ auf.“
„Die Verstümmelung der Natur ist nicht nur abstoßend und unwürdig, sie macht mit der Flora auch der Fauna den Garaus. Denn so wie der mobile Mensch selbst in ländlichen Gegenden Sichtschneisen schätz, lieben Tiere die Deckung… Doch wenn fahrende Fabriken zur Hackschnitzelherstellung ausziehen, werden ganze Biotope in Stunden von ihrem Baum-und Heckenbestand befreit.
Irgendetwas läuft hier schief, denke ich mir jedes Mal, wenn ich an diesem Gartenhaus vorbeifahre. Bis vor vier oder fünf Jahren war dieses Häuschen ein idyllischer Ort im Grünen, von hohen Hecken und Bäumen umgeben, von der Straße nicht einsehbar. Für die Bewohner einer heilpädagogischen Einrichtung war dieser Ort eine kleine Oase zum Grillen, Spielen oder einfach im Garten sitzen. Dann wurde die Vegetation entfernt- bis auf den einen Alibi-Baum. Wie sitzt es sich denn so, auf einem Präsentierteller mit freiem Blick zur Straße?
Das gesamte Gelände dieser Wohn-und Arbeitsstätte für Menschen mit geistiger Behinderung wird von Jahr zu Jahr lichter, wo einst ein Dickicht von Hecken und Bäumen eine natürliche Barriere zur Straße bildeten, finden sich nur noch wenige „Einzelhindernisse“ .
Für alle, die meinen, ist doch nicht schlimm, wächst doch wieder, habe ich noch ein Foto:
Als ich die Fotos für diesen Artikel aufnahm und durch die Stadt zurückfuhr, kam ich aus dem Fotografieren gar nicht wieder raus. Wenn es nicht so frustrierend wäre, könnte ich unzählige Beispiele nennen.
Ich verstehe die Logik der Ökonomie nicht: Wenn der Holzbedarf so stark steigt, sollten wir dann nicht sofort ganz viel Bäume und Hecken pflanzen, Hauswände und Dächer begrünen? Neben dem Schutz von Flora und Fauna- gibt es da nicht auch so etwas wie Klimaschutz?
Der „ästhetische Verlust“ (Ingeborg Harms) besetzt ja ohnehin nur einen nicht erkennbaren Platz ganz weit hinten.
Bäume, unsere geistigen und irdischen Gesellen
"Nächst den Sternen haben wir Menschen keine freundlicheren Boten, die gleichsam zwischen Himmel und Erde hin und her wanken, als die Bäume. Wer je unter ihnen gewandelt mit stillem Mut, dem sie nicht oft Sorgen und Eitelkeiten des Lebens hinweggerauscht, den sie nicht mit Liebe und Sehnsucht des Himmels angeweht, dem sie nicht so manche namenlose Gestalten gezeigt haben. So sind die Bäume die geistigen Gesellen des Menschen auf Erden; aber sie sind auch seine recht lieben irdischen Gesellen, die ihm Nahrung, Stärkung und Segen des Himmels bringen; auch deswegen soll er sie lieben und ehren."
Ernst Moritz Arndt in seinen Agrarpolitischen Schriften, 1820
Nicht zu vergessen:
Die Liebe um der Schönheit willen!
Dieses Bonsaibäumchen wächst in einem kleinen Hinterhof. Der Topf fasst vielleicht zwei Hände voll Erde.
Ein Anblick, der mein Herz erfreut!
Hier wohnt ein Mensch oder mehrere (?) die sich am Anblick und an der Hege und Pflege dieses kleinen Bäumchens freuen. Dieses "Hegen und Pflegen" tut einem ja selber gut und ist eine wunderbare Achtsamkeitsübung. Der Umgang mit den Elementen setzt Behutsamkeit voraus. Gieße ich zuviel, kann ich meine Pflanzen umbringen, obwohl Wasser die essentielle Grundlage des Lebens ist.
"Die Natur ist immer wieder eine Denkinspiration für mich" sagt auch Konstanze Quirmbach in ihrem Blog (Persönlichkeitsentwicklung und Life-Coaching). Sehr schön beschreibt sie darin, wie man in der Natur Verbundenheit fühlen kann-mit Mutter Erde, seinem Mitmenschen, mit anderen Schicksalen und wie man in dieser Verbundenheit seine Fähigkeit stärken kann, seine eigenen Bedürfnisse wieder besser wahrzunehmen und diese zu achten.
Dieser Beitrag wäre nicht vollständig ohne ein paar konstruktive Vorschläge. Ich möchte ja nicht nur lamentieren sondern auch versuchen, selbst etwas zu tun. Zum Beispiel eine Patenschaft! Die kann ja auch ganz klein sein oder mehrere Personen teilen sich- naja vieleicht einen
Obstbaum?Wie ich im Jahr 2012 zu einer Patenschaft gekommen bin, können Sie hier nachlesen:
http://fuldawiki.de/fd/index.php?title=B%C3%A4ume
In letzter Zeit habe ich die Angelegenheit nicht weiter verfolgt, d.h. eigentlich wollte ich bei Freunden und Bekannten für weitere Patenschaften werben. Denn:
Das Gartenamt der Stadt Fulda könnte nach eigenen Angaben über hundert Obstbäume auf städtischen Flächen pflanzen und den Bürgern zur Verfügung stellen, wenn sich konkret jemand darum kümmern würde. Tatsächlich hat es in der Vergangenheit solche Bemühungen gegeben, ohne dass dieses Angebot angenommen wurde. Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, sich mal wieder konkreten Plänen zu widmen- auch im Hinblick auf die nächste Landesgartenschau! In Kürze mehr dazu....
Darf ich vorstellen? Meine Baummieter...
Bäumchen, die sich selbst ausgesät haben oder die ich aus dem Garten ausgegrub, weil sie sich im Gemüse verirrt hatten. Im Letzten Topf steckt eine ganze (zukünftige) Kastanienallee. Die hat meine Tochter gezogen und werden in den nächsten Tagen vereinzelt. Was ich damit vorhabe? Verschenken oder sammeln, am liebsten in einer gemeinschaftlichen Aktion, die auch länger dauern kann. Eben zum Beispiel die nächste Landesgartenschau in Fulda.
siehe:https://www.facebook.com/martina.fuchs.7359/posts/1717622075153581?comment_id=1718477891734666¬if_t=like¬i