
Heute, am 4. Februar, gedenken wir Hrabanus Maurus, dem großen Kirchengelehrten, der Fulda einst zum geistigen Zentrum des Ostfränkischen Reiches machte. Seine Worte sind auch nach 1200 Jahren aktuell, denn die Tugend der Mäßigung lag ihm sehr am Herzen:
“Die Mäßigung wird so genannt, weil sie den Menschen dazu bringt, in allem das richtige Maß einzuhalten. Sie heißt auch deshalb so, weil sie in der Seele des Menschen das richtige Maß zwischen Wärme und Kälte herstellt; wenn zu viel Kälte herrscht, dann lässt diese blühende Keime verkümmern. Die Mäßigung ist demnach diejenige Tugend der Seele, welche dem ganzen Leben das richtige Maß verleiht.“
Wenn wir mit ehrlichem Blick unser heutiges Leben, z.B. in Deutschland im Jahr 2025 betrachten, dann ist der Mangel an Spiritualität erschreckend. Kriegstüchtig soll unser Land werden, koste es, was es wolle. Viele Menschen sind so eingeschüchtert, dass sie gar nicht bemerken, dass nicht nur in der großen Politik jegliches Maß abhandengekommen ist. Auch im Umgang mit der Natur, unseren Lebensgrundlagen sind längst die Grenzen überschritten worden, die ein „gesundes“ Maß überschreiten,der Königsweg, den Hrabanus Maurus empfahl, ist längst verlassen und seine Empfehlung, den Schritt zu zügeln um angemessen zu bleiben, ist auf dem Altar der Effizienz geopfert worden. Effizient ist es zum Beispiel, alle paar Jahre große Flächen komplett von Pflanzen zu befreien. Man kann diese destruktive Vorgehensweise auch Pflege nennen oder vorbeugende Maßnahme gegen Vergreisung und diese Begriffe so lange wiederholen, bis sie selbst von Naturschutzverbänden nachgeplappert werden.

Im Frühjahr 2024 war es dem städtischen Gartenamt Fulda gelungen, das Gelände des Kindergartens in eine Vogelfreie Zone zu verwandeln, denn der Rückschnitt war derart radikal, dass es keine Brutmöglichkeiten mehr gab.
Auch heute, ein Jahr später, hat sich der Bewuchs nicht erholt. Ich wohne, seit mehr als 20 Jahren, gegenüber dem Kindergarten und muss leider miterleben, wie der Bewuchs sukzessiv dezimiert wird. In den ersten Jahren war der Metallzaun nicht zu sehen und die Kinder streiften durch Pfade durch die Hecken. An einigen Stellen gab es offene Stellen, durch welche die Kinder durchschauen konnten und mit viel Freude den Passanten zuzuwinken und kurz danach wieder in ihrem Dschungel zu verschwinden. Das ist vorbei, heute ist das gesamte Gelände von allen Seiten einsehbar. Es gibt kein Gebüsch mehr und alle Reste von Laub werden mit mächtigem Maschineneinsatz und Lärm entfernt. Das Naturerleben wurde auf den Anblick von verstümmelten Büschen und Rindenmulch reduziert, der Bildungsauftrag vergessen. Spielte er jemals eine Rolle? Ja, vielleicht im letzten Jahrhundert, als die Katharinenschule noch stolz den Titel „Umweltschule“ trug, als engagierte Lehrer noch Einfluß auf die sogenannten „Pflegemaßnahmen“ geltend machten. Zu der Zeit, also in den 1990er Jahren, sah das Gelände der Schule und des benachbarten Kindergartens noch anders aus. Lang ist es her. Manche Lehrerin im Ruhestand betrachtet ebenso wie ich diese Entwicklung mit traurigem Entsetzen.

Meine Vorstellung von Bildung für nachhaltige Entwicklung ist identisch mit den Vorgaben unserer Landesregierung.Im o.g.Prospekt geht es zwar vordergründig um die Förderung der biologischen Vielfalt im Siedlungsbereich. Doch ihrem Maßnahmenkatalog zur Nachahmung ist ebenso zu entnehmen, dass allen Kindern Naturerfahrungsräume zur Verfügung stehen sollen. Hierbei geht es um nichts Geringeres als die Basis für eine gesunde Entwicklung.
Den meisten Kindern und deren jungen Eltern kennen es schon nicht mehr anders:
Der Umgang mit der Natur in unseren Städten und Siedlungen beruht auf einer dem Zeitgeist entsprechenden Kriegslogik, der Gegner ist das Leben selbst. Die Strategien gegen Vergreisung, Blühen, Wachsen hinterlassen überall hässliche Spuren in der Stadt: es gibt immer weniger natürliche Wuchsformen. Im Kindergarten und ringsherum gibt es ja nun nichts mehr abzuschneiden, also ist in diesem Jahr der Friedhof dran. Die Sträucher vor dem Zaun, die bisher jährlich durch die Gartenarbeiter geschunden wurden, sind nun endgültig „auf Stock gesetzt“ worden. Vielleicht war es das Ziel, den Blick auf den hässlichen Metallzaun freizuschneiden, ebenso wie im Kindergarten? Auch das Gelände rund um den Spielplatz unterhalb der Schule wurde komplett „abrasiert“. Warum die Böschung von jeglichem Bewuchs befreit wurde, weiß nur das Gartenamt allein. Und sicher auch die Gründe für die Amputationen an den Bäumen ringsherum, die nun keinen Schatten mehr spenden werden. Auch gegen die Brombeerhecke in der Terrassenstraße wurde ein neuer Feldzug durchgeführt, mit Erfolg, denn die Hecke wird von Jahr zu Jahr kleiner.

Frau M ist 96 Jahre alt. Arbeiten im Garten, auf dem Feld und im Haus waren in ihrer Kindheit Pflicht. Manches hat sie gern getan, anderes sieht sie aus heutiger Sicht als alles andere als kindgerecht an.
Gern erinnert sie sich, wie sie als Kind frei durch Wald und Flur streifte.
Diese Erinnerung teile ich mit ihr, obwohl ich etwas mehr als dreißig Jahre jünger bin als sie. Wir teilen auch die Meinung, dass der Anblick von Rindenmulch auf dem leergeräumten Beet im Garten des Altenheimes alles andere als schön ist. Ich frage beim Gärtner nach, warum hier so radikal geschnitten wurde.
Der Kirschlorbeer sei sowieso ökologisch zweifelhaft, meint er, und der Radikalschnitt war eine Maßnahme gegen die Vergreisung. Nun, wir sind in einem Altenheim. Ich vermeide, das Thema mit Frau M. zu besprechen.
Die Spatzen, die sich im Kirschlorbeer aufgehalten haben- er glaubt nicht, dass die auch darin gebrütet haben. Wer will ihm widersprechen oder gar das Gegenteil beweisen. Ich kann nur sagen, dass die Spatzen weg sind, seitdem der Kirschlorbeer und der angrenzende Hecken Abschnitt bis auf den Wurzelstock abgeschnitten worden sind. Auch der Strauch vor Frau M.‘s Fenster wurde einer vorbeugenden Maßnahme unterzogen. Die Absicht dahinter kann ich nur erraten. Vorbeugung gegen allzu üppiges Blühen?
Die äußersten Zweige wurden abgeschnitten. Die Meisen, die sonst auf den wippenden Zweigen saßen, finden auf den verbliebenen Stümpfen nicht alle Platz. Die Meisenknödel locken sie an, immerhin ist der Strauch noch da. Wenn man das Treiben der kleinen Vögel vor dem Fensters von Frau M. und den gestutzten Strauch betrachtet, kommt man nicht um die Frage herum: Warum?

Der Strauch ist noch jung und schön gewachsen. Ich meine, er war es bis vor dem letzten Garteneinsatz.
„Vorher sah es schöner aus“, sagt Frau M., als hätte sie meine Gedanken erraten.
Ich erzähle ihr vom Kindergarten, wo alle Sträucher derartig verstümmelt worden sind. Entschuldigung, wo vorbeugende Maßnahmen gegen Vergreisung durchgeführt worden sind. Die noch verbliebenen Sträucher sind jetzt meiner Meinung nach eine Gefahrenquelle, denn an den stumpfen Ästen können sich die Kinder stoßen oder hängenbleiben. Wahrscheinlich ist das Personal vom Kindergarten auch schon auch diese neue (selbstgeschaffene) Gefahrenquelle aufmerksam geworden, denn ich habe seit dem Rückschnitt kein Kind mehr im oberen Gelände, also da, wo jetzt Äste wie Stümpfe aus dem Boden ragen wo einstmals Büsche waren, gesehen.
Wie schon gesagt, die Sträucher sind noch nicht nachgewachsen und es sieht leider so aus, als wäre das so gewollt. Eltern, denen das Naturerleben ihrer Kinder am Herzen liegt, wählen vielleicht anthroposophische Kindergärten und Schulen.
Ich wünschte mir, alle Kinder hätten die Möglichkeit, Natur zu erleben, Versteckspiel hinter Sträuchern, Kletterbäume am Spielplatz- sich mit Pflanzen, Tieren in Gemeinschaft zu erleben, zu spielen, zu lachen...
“Lasst ja die Kinder viel lachen, sonst werden sie böse im Alter! Kinder, die viel lachen, kämpfen auf der Seite der Engel.” Danke, Hrabanus Maurus, für diese schöne Weisheit.
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