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Friedelinchen Veichenduft

Friedelinchen Veilchenduft- so wurde Frieda, 98 Jahre alt, als Kind manchmal im Scherz von ihrer Mutter genannt. Ich mag diesen Namen und all die Geschichten, die sie mir erzählt, wenn ich sie besuche. In letzter Zeit kommt das öfters vor, weil ich in dem Altenheim, in dem ich arbeite, wegen diverser Infektionsschutzmaßnahmen gerade keine Veranstaltungen durchführen darf und stattdessen Einzelbetreuung auf dem Plan steht. An einem Vormittag hat Frieda den Tisch für drei Personen gedeckt. Sie hat die kleinen Sammeltassen aus ihrem Schrank geholt und sie auf den Tisch gestellt. Das Geschirr ist außergewöhnlich klein, wie die Besitzerin. Der Anblick der Tassen rührt mich sehr an, denn es wird heute kein Besuch kommen, so wie gestern keiner kam so wie morgen keiner kommen wird. Außer mir, natürlich, doch zählen meine professionellen Gespräche, für die etwa eine Viertelstunde oder 20 Minuten kalkuliert sind, dreimal die Woche? Frieda freut sich, wenn ich komme, bietet mir immer einen Platz an und hat immer gerade etwas Wichtiges zu erzählen. Mir fällt es nicht immer leicht, ihrem Gesprächsfaden zu folgen, doch ich höre gebannt zu und staune, wie treffend sie fehlende Wörter mit Gesten und Handbewegungen kompensiert. Ja, und bei ihr bestätigt sich immer wieder auf ganz entzückende Art und Weise meine These, dass Sprache an sich überbewertet wird, denn obwohl die Wortwahl ziemlich ungewöhnlich ist, verstehe ich doch im Großen und Ganzen immer, um was es ihr geht:“ Ich lass‘ mich nicht so schnell auf’n Eimer schieben, ich bin doch kein Hamburger!"

 

Auf dem Tisch liegt eine riesige ausgemurgelte Orange. Die kann sie nicht essen, schon garnicht mit dem Gebiss. "Dazu noch der Schmerz, hier unten zieht der rein, hier hoch und da wirbelt er da so rum! Ich könnt in den Himmel springen! Mach‘ ich aber nicht, bin noch nicht angemeldet."

Nun freue ich mich darüber, dass sie „noch nicht angemeldet ist“ und male für sie dieses Bild: So stelle ich mir Frieda alias Friedelinchen Veilchenduft als junges Mädchen vor. Am nächsten Tag schenke ich ihr das Bild. Ich werde reichlich belohnt mit einer weiteren Episode aus ihrem Leben, in unnachahmlicher Weise erzählt.

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